Kino: Werdet wieder politisch!

Par Barondeau Véronique

Arte Journal 13/03/13

 

"Wenn die Politik wieder als ein Gemeinschaftsprojekt begriffen wird, zu dem jeder mit seinen Ideen beitragen kann, dann können wir vielleicht auch die gegenwärtigen Krisen lösen." So lautet die ebenso gewichtige wie existentielle Botschaft des neuen Dokumentarfilms von Thomas Lacoste, der am Mittwoch in die französischen Kinos kommt. In « Notre Monde » versammelt der französische Regisseur 35 Geistesgrößen der französischen Gesellschaft : Philosophen, Soziologen, Wirtschaftswissenschaftler, aber auch Anwälte ergreifen im Film das Wort, um unserer Demokratie neues Leben einzuhauchen.

"Notre Monde" kann vielleicht am besten als ein philosophisches Projekt verstanden werden, das sich der Bildersprache bedient: In welcher Welt wollen wir überhaupt leben – so lautet die Frage, die zum Anfang des Films aufgeworfen wird. Damit ist das Feld für die grundsätzlichen Grübeleien der Menschheit bestellt: Wie können wir darüber hinaus in einer gerechteren Welt leben – um so dem permanenten Krisen-Zustand unserer Gesellschaft ein sinvolles Projekt entgegenzustellen ?

Politik braucht neues Vertrauen
Thomas Lacostes Film zeugt in erster Linie von einem Vertrauensverlust. Wie können wir unsere Gesellschaft verändern, wenn doch Politiker überfordert scheinen und Institutionen vor der Komplexität der gegenwärtigen Probleme kapitulieren müssen ?
Der Film erlaubt dem Zuschauer aber, neues Vertrauen zu schöpfen: Vielleicht müssen wir das bisher Gedachte einfach hinter uns lassen. Denn die zahlreichen Protagonisten in Lacostes Film nehmen uns mit an neue Ufer: Sei es im Bereich der Schulpolitik oder beim Schutz von Minderheiten.

Dokumentarmilm mit eigener Bildsprache
Lacoste hat sich in der Vergangenheit durch Filme ausgezeichnet, die die Kultur der Debatte pflegen und sie in ruhigen klaren Bildern aufbereiten. In"Notre Monde" geht Lacoste jedoch radikaler vor: Gesichter sind häufig nur in der Nahaufnahme und angeschnitten zu sehen, so dass der Zuschauer den Gedankengängen der Protagonisten quasi auf Augenhöhe folgen kann. Und diese Gedankenfragmente stehen nie isoliert – Lacoste versucht die Begriffe « Kollektiv » und « Solidarität » für das 21. Jahrhundert zu aktualisieren. Inhaltlich ebenso wie stilistisch.

Historischer Drehort
Welcher Ort könnte sich für dieses Projekt besser eignen als das ehemalige Gewerkschaftsgebäude der Stahlarbeiter in Paris, das 2007 in ein Kulturzentrum umgewandelt wurde ? Für diese Film-Kulisse aus Kultur und Klassenkampf konnten sich zahlreiche einflussreiche Denker begeistern: Zu ihnen gehören sowohl die Philosophen Jean-Luc Nancy und Toni Negri aber auch der Soziologe Luc Boltanski sowie die amerikanische ATTAC-Aktivistin Susan Georges.

Lob des Kollektivs
« Das Unsichtbare sichtbar zu machen, damit der Gemeinschaftssinn wieder zu einem unserer zentralen Anliegen werden kann, das wollte ich mit dem Film erreichen », sagt Thomas Lacoste. « Ich wollte auf die Funktionsprobleme in unserer Gesellschaft hinweisen, aber auch selbst einen Beitrag leisten. Wir sind nicht mehr gewohnt zu denken oder uns ganz einfach auf ein Gegenüber einzulassen. Es sind doch gerade die Differenzen, die uns weiter bringen; mit jemandem uneinig zu sein erlaubt uns erst den Austausch zu beginnen, etwas zu erschaffen und eine Vielfalt von Lösungen zu finden.

Trotz seiner Wortmächtigkeit, lädt der Film den Zuschauer auch dazu ein, eine Ruhepause einzulegen, um sich von einer Welt zu erholen, in der ein Ereignis das andere jagt. Durch eine solche Reflexion und Meditation kann der Zuschauer vielleicht auch der zentralen Aufforderung des Films nachkommen: Sich eine Welt zu erschaffen, die man jeden Tag neu erleben und nicht nur ertragen möchte. Das Politische kann uns dabei helfen, nur nicht in seiner althergebrachten Form.